Was ist ein „cooler Sound“? – Teil 2 –

Von | 8. Dezember 2012

Phasing und Flanging

Bevor ich mich wieder in einem anderen Artikel mit aktuellen Plug-ins für die Musikproduktion am Computer beschäftige, hier der zweite Teil meiner Überlegungen zum Thema „Klangästhetik“ – um es mal vornehm auszudrücken.

„Im NDR spielt Tanzmusik“ heißt es in einem älteren Song der Gruppe Truck Stop. Welche Tanzmusik? Eurodance, House, Techno? Nein, früher gab es im Nachtprogramm noch Rundfunkorchester zu hören, die Foxtrott, Walzer, Cha-cha u. s. w. gespielt haben.

Ich merke, dass ich immer wieder Vergangenes hervorkrame, aber so kann man am besten Entwicklungen darstellen und Vergleiche ziehen, wobei ich mich hier auf persönliche Erfahrungen beschränken will.

Es war einmal – in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als ich ungefähr 11 Jahre jung war und mein erstes eigenes Radio hatte. International war der Liverpool-Sound angesagt, trotzdem hörte man die „Beatmusik“ selten im deutschen Radio, eher schon die oben genannte „Tanzmusik“ oder Schlager. Ich habe dann abends das englische Programm von Radio Luxemburg gehört, auf Kurzwelle. Manchmal kaufte ich mir die eine oder andere Single vom Taschengeld und war bei einigen Songs enttäuscht, weil sie nicht so cool klangen wie im Radio. Das Rauschen, die Phasen-Auslöschungen durch Störungen der Ätherwellen, das klang irgendwie aufregender als eine sauber klingende Schallplatte.

Ich war aber nicht der einzige, dem solch ein Klang gefiel. Ich weiß nicht, ob es mit dem Kurzwellen-Empfang zu tun hatte, aber in den 1970ern wurde das Phasing und Flanging zum beliebten Soundeffekt. Beide Effekte beruhen auf Zeitverzögerung, Flanging ist kurz gesagt die krassere Version. Um neben dem „Rauschen“ auch noch den schwebenden Effekt zu erzielen, ist außerdem eine leichte Manipulation der Tonhöhe notwendig.

Noch bevor Multieffektgeräte im 19-Zoll-Format in die Studios einzogen und Gitarristen Bodentreter im Signalweg hatten, wurden die Effekte „mit der Hand gemacht“. Der Gitarrist und Konstrukteur Les Paul soll das Verfahren schon in den 1950er Jahren erfunden haben. Ich habe handgemachtes Flanging selbst beobachtet, als ich zur Band „Thristy Moon“ gehörte und unser erstes Album abgemischt wurde. Damals war Conny Plank (später Kraftwerk, Ultravox, Eurythmics) der Toningenieur. Beim letzten Titel des Albums „Thirsty Moon“ ist der Flanging-Effekt ein wichtiger Bestandteil des Sounds.

So wurde es gemacht: Die fertige Mischung wurde auf eine zweite Tonbandmaschine kopiert. Beide Maschinen wurden dann gleichzeitig gestartet und die Summe der (identischen) Tonsignale auf eine dritte Maschine überspielt. Da es keine Sync-Spur gab, war absolutes Fingespitzengefühl angesagt. Die Ränder der Tonbandspulen (engl. flanges) wurden während des Kopiervorgangs mit der Hand leicht abgebremst, Maschine A und B abwechselnd. Durch das Abbremsen schwankte die Tonhöhe, die Phasenlage wurde ebenfalls verschoben und der „spacige“ Effekt entstand.

Einige Zeit später hörte man den Effekt auch bei Pop-Produktionen, wie “Mexico” von den Les Humphries Singers.

Wie es möglch ist, zwei Tonbandmaschinen phasengenau zu starten, ist für mich immer noch ein Rätsel, denn dabei geht es um Millisekunden. Heute kann man den Effekt bei der Musikproduktion am Computer auch mit Plug-ins erzielen, allerdings kenne ich kein Produkt, dass mich völlig zufrieden stellt. Ich erwarte auch nicht, dass die elektronische Variante den „handgemachten“ Effekt genau reproduziert, es soll nur eben „cool“ klingen. Oder sagen wir gleich: „geil!“


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10 Gedanken zu „Was ist ein „cooler Sound“? – Teil 2 –

  1. Anonymous

    Hallo Jörn,
    ich erinnere mich an einige schöne Flanging-Sounds auf Hendrix Alben. Das habe ich mir aber schon lange nicht mehr angehört, ich denke aber das es mir noch gefällt.

    1. joern

      Hendrix … Mit seiner Musik konnte ich in den vergangenen 52 Jahren rein gar nichts anfangen. Ich glaube auch nicht, dass sich das noch ändern wird. 🙂

  2. Jörn

    Definitiv alte Zeiten! Früher hab ich meine Gitarrensounds auch gern mit Phasern und Flangern vorzugsweise von Boss oder TC-Electronic angereichert, aber heute gefallen mir derartige Klänge höchstens noch im Synthbereich. Bei Gitarren klingt es in meinen Ohren total beschissen – und das sage ich als Retro-Fan … So haben diese beiden Effekte für mich rein gar nichts mehr mit “coolem Sound” zu tun.

  3. juergen Beitragsautor

    Das ist eben sehr Geschmacksache. Ich halte da auch an keinem Kult fest, so etwas entwickelt ja irgendwie ein Eigenleben. Ich finde vor allem die offiziellen Alben toll, auch von der Komposition und vom Gesang. Die Studiotechnik wurde auch als wichtiges Mittel integriert. Einige Lieblingstitel von mir: “All along the watchtower”, “The wind cries Mary”, “Voodoo chile slight return”, “Spanish castle magic”. Es ist überliefert, dass er sehr viel Drogen genommen hat, daran liegt es meiner Meinung nach, dass viele Live-Sachen nicht so toll sind. Einige schon, aber manchmal hat er meiner Meinung nach nicht sein Bestes gegeben. Das wurde aber alles nach seinem Tod ohne seine Zustimmung veröffentlicht.

    1. joern

      Waaaa! Danke, dass du “All along the watchtower” erwähnt hast. Von Hendrix mag ich das nicht, aber von Frank Marino und ich hab das ganz vergessen und den Song nun bei iTunes gefunden und gekauft.

      Danke! 🙂

  4. juergen Beitragsautor

    “Frank who?” – wollte ich fragen, aber ich habe dann gleich bei Wikipedia nachgesehen. Da spielt er eine Gibson SG, auch ein schönes Teil. Die Musik höre ich mir noch an! ”
    All along the watchtower” ist ja original von Bob Dylan. Bei Dylan gefallen mir oft die Cover-Versionen besser als das Original.

    1. joern

      Hör’ dir die Version von Frank Marino mal an. Ich würd’ gern wissen, was du dazu sagst!

  5. juergen Beitragsautor

    Habe ich gerade angehört. Moderner, vor allem vom Sound. Aber ich bleibe bei meiner Vorliebe für Hendrix!
    Die Gitarren-Licks von Frank Marino sind auch durchaus von Hendrix inspiriert, möchte ich es mal ausdrücken. Das ist keine Kritik, jeder hat Vorbilder, aber ohne die Hendrix-Version hätte es diese Interpretation des Dylan-Songs wohl nicht gegeben. Ich kann aber nachvollziehen, dass du die Marino-Version lieber hörst. das ist schon sehr entspannt und souverän gespielt, keine Frage. Aber man hat ja auch so seine Lieblingsinterpreten und für mich ist das eben Jimi Hendrix.

    1. joern

      Die Marino-Version hat für mich (und da sind wir wieder beim Artikel-Thema) auch den besseren Sound, da wesentlich später aufgenommen. Hendrix ist mir irgendwie zu rau …

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