Test: Eventide Newfangled ELEVATE

Von | 6. Oktober 2017

Mit ELEVATE bringt Eventide in Zusammenarbeit mit Newfangled ein Mastering-Plug-in mit Artifical Intelligence auf den Markt, das verspricht, Loudness und Dynamik miteinander in perfekten Einklang zu bringen. Anstatt bewährte Hardware zu emulieren, geht man hier neue Wege.

Begriffserklärung

Bevor es mit dem Test losgeht, ein paar kurze Erklärungen, denn ich möchte gern, dass music-knowhow-Artikel auch für Einsteiger verständlich sind.

Pegel oder Lautstärke meint die Signalstärke, die an einem Ein- oder Ausgang anliegt. Bei digitaler Musik zeigt die Anzeige bei Vollaussteuerung 0dB an. Lautheit oder Loudness ist die empfundene Lautstärke. Wenn sich zwei Musikstücke bei 0dB Ausgangspegel nicht gleich laut anhören, wurde das lauter klingende Stück komprimiert. Die Dynamik, also der Unterschied zwischen leisen und lauten Stellen, wurde verringert. Der Vorteil des komprimierten Stücks liegt darin, dass die Musik oft schon durch die größere Lautheit als besser empfunden wird, als die Konkurrenz. Es hat Power, klingt fett, druckvoll, wie auch immer man es nennen will. In geräuschvoller Umgebung, wie im Auto, setzt es sich besser durch. Nachteile treten auf, wenn es bei zu starkem Einsatz von Kompression zu Verzerrungen kommt und wenn ein konstanter Pegel, fast ohne jede Dynamik, die Hörer ermüdet. Beim Mischen und Mastern muss man das beachten und dazu sind sehr gute Werkzeuge nötig. Innerhalb einer Digital Workstation (DAW) sind das Plug-ins.

Ich möchte darauf hinweisen, dass alle Abbildungen per Klick vergrößert werden können, da teilweise sehr kleine Aufschriften vorhanden sind!

 

Eventide Newfangled ELEVATE

 

ELEVATE In Kürze

ELEVATE ist ein professioneller Mastering-Limiter und Maximizer, der neue Technologien verwendet, um höhere Lautheit zu erzielen, aber gleichzeitig das Empfinden der Dynamik zu erhalten oder sogar zu verbessern. Das Signal wird in einzelnen Frequenzbändern bearbeitet, die der Frequenzkurve des menschlichen Gehörs angepasst wurden. Zusätzlich zu lernfähigen Algorithmen bietet Elevate viele Einstellungsmöglichkeiten, um den Sound individuell zu gestalten. Soft-Clipping generiert Obertöne, die die Musik bei gleichem Ausgangspegel lauter und strahlender erscheinen lassen.

 

Installation und Registrierung

Eventide verwende das ilok-System von PACE. Wenn man ELEVATE nach dem Download zu ersten Mal öffnet, erscheint ein Fenster zur Eingabe des ilok User-Namens. Die Lizenz wird dann automatisch zum ilok license manager übertragen. Dazu ist natürlich eine aktive Internet-Verbindung nötig, aber die braucht man zum Download ja sowieso. Die Lizenz lässt sich wahlweise auf einen Dongle oder einen Computer übertragen. ELEVATE ist gleichzeitig auf 2 Computern nutzbar.

 

Presets

Am oberen Rand des Plug-in-Fensters lassen sich Factory-Presets über ein Dropdown-Menü auswählen. Zwei Pfeile ermöglichen alternativ in den Presets vor- oder zurück zu scrollen. Die Buttons LOAD und SAVE sind dazu da, Presets von einem beliebigen Speicherplatz auf dem Computer zu laden und eigene Presets zu speichern. Mit COMPARE lässt sich zwischen der ursprünglich geladenen Einstellung und selbst vorgenommenen Änderungen hin- und her schalten.

 

Gain Lock

Bei aktiviertem GAIN LOCK werden alle Presets mit dem gleichen Pegel wiedergegeben. Man kann sich so auf die Sound-Unterschiede konzentrieren.

 

Info, Settings und Color Scheme

INFO zeigt die üblichen Hersteller-Angaben und die Versions-Nummer. Unter STETTINGS kann man die Display-Darstellung beeinflussen und eine Dithering-Option wählen. Dithering sollte immer im letzten Arbeitsgang erfolgen und ist dann sinnvoll, wenn mit ELEVATE direkt ein Final Master erstellt wird. Die Funktion kann ausgeschaltet bleiben, wenn dazu die Dithering-Funktion der DAW verwendet wird. COLOR SCHEME ermöglicht es, eines von drei skins aufzurufen. Mir gefällt die voreingestellte Version am besten. Die Optik ruft bei mir keine Begeisterung hervor, das Erscheinungsbild ist aber übersichtlich und zweckentsprechend.

 

Active und Match Level

Mit dem Button ACTIVE werden alle Prozesse ein- oder ausgeschaltet. Wenn MATCH LEVEL an ist, wird das Signal im inaktiven Zustand zu Vergleichszwecken mit angepasster Lautstärke wiedergegeben. Das kann zu Übersteuerungen führen, weil dann die Limiter-Funktion ausgeschaltet ist. Man sollte deshalb den Master-Fader der DAW während des Ausprobierens entsprechend herunter regeln. Ich empfand die Funktion beim Testen als außerordentlich hilfreich.

 

Anzeige-Instrumente

Anzeige-Instrumente, alternatives Erscheinungsbild TWIN TURBO

 

Sowohl Input- als auch Output-Level werden mit großzügigen Stereo-Messinstrumenten dargestellt. Mit dem Button AUTO lässt sich verhindern, dass der Ausgangspegel 0dB überschreitet. Neben Spitzenpegel und RMS-Pegel gibt es eine Gain-Reduction-Anzeige um die Kompressions-Wirkung darzustellen. Oberhalb der Balken werden die Werte numerisch angezeigt.

 

Parameter Pages

Die Vielzahl der Parameter lässt sich nicht innerhalb des – leider nicht skalierbaren – Plug-in-Festers darstellen, deshalb gibt es dafür fünf Pages.

 

Die wichtigsten Parameter auf einen Blick

 

Die Werte lassen sich nicht nur mit den Fadern einstellen, sondern können auch direkt eingetippt werden. Für die Zahlen wurde meiner Meinung nach eine ungünstige Schrifttype gewählt. Wer schlechte Augen hat oder nicht dicht genug am Monitor sitzt, kann die durchgestrichene „Computer-Null“ auch für eine 8 halten.

 

Main Parameters Page

Hier finden sich die wichtigsten Funktionen, mit denen man die Lautheit erhöht: LIMITER, TRANSIENT EMPHASIS und SPECTRAL CLIPPER. Diese vier Sub-Module haben außerdem jeweils eine eigene Page mit Fein-Einstellungen.

LIMITER

Hier wird das Signal komprimiert, die Bezeichnungen GAIN und SPEED entsprechen Threshold und Release bei anderen Kompressoren/Limitern. Beide Parameter lassen sich automatisieren, wenn ADAPTIVE (anpassungsfähig, lernfähig) gewählt wird. Wenn bei CEILING ein negativer Wert eingestellt ist, arbeitet die Funktion als Brickwall Limiter; Pegelspitzen können dann den eingestellten Wert nicht mehr überschreiten.

ELEVATE verwendet Multiband-Kompression, wobei die Regelung der einzelnen Frequenzbänder im Modus ADAPTIVE automatisch dem Programm angepasst wird.

TRANSIENT EMPHASIS

Kompressoren mit schneller Ansprechzeit beschneiden oft die Attack-Phase bei perkussiven Signalen. TRANSIENT EMPHASIS kann sie wieder herstellen oder sogar verstärken.

SPECTRAL CLIPPER

Clipping bedeutet zwar Verzerrung, hat aber mit dem sägenden oder brutzelnden Sound eines Verzerrer-Pedals wenig zu tun. Das hier eingesetzte Soft-Clipping addiert Obertöne und lässt den Ton lauter und brillanter erscheinen, ohne den Ausgangspegel zu übersteuern. Mit dem DRIVE-Regler wird der Effekt verstärkt.

 

Filter Bank Sub-Modul Page

26 Filterbänder in Linear-Phasen-Ausführung

 

Bis zu 26 Filterbänder in Linear-Phasen-Technik stehen zur Verfügung. Damit lassen sich die Filter perfekt an die Höreigenschaften des menschlichen Ohrs anpassen. Die Anzahl der Filter kann bei Bedarf verringert werden, um Prozessor-Leistung zu sparen. Sehr hilfreich ist die Möglichkeit Filterbänder Solo abzuhören. Jedes Filterband kann auf vielfältige Weise manuell bearbeitet werden. Dazu wird vom voreingestellten Modus MEL auf CUSTOM umgeschaltet.

EQUIVOCATE

Die Filterbank entspricht dem Equalizer-Plug-in EQUIVOCATE, das ebenfalls von Eventide/Newfangled stammt und bis zum 31.10.2017 hier als Freeware angeboten wird. EQUIVOCATE ist auch ein Teil des ELEVATE Mastering-Bundles; ein außergewöhnlicher Equalizer mit neuartigem Konzept, der auch als Match-EQ eingesetzt werden kann.

 

Limiter/EQ Sub-Modul Page

Limiter/EQ Sub-Modul

Die Kompressor-Wirkung kann hier für jedes einzelne der 26 Frequenzbänder separat eingestellt werden; damit ist ELEVATE dem Urvater der Multiband-Kompressoren, dem Finalizer, um Lichtjahre voraus. Die senkrechten Regler lassen sich verschieben, außerdem kann die Einstellung als Kurve mit der Maus eingezeichnet werden. Auch auf dieser Page lassen sich die Bänder Solo abhören. Zur optischen Kontrolle dienen während des Betriebs eine Input- Output- und Gain-Reduction-Anzeige je Frequenzband.

 

Transient Sub-Modul Page

Transient Sub-Modul

 

Auch die Verstärkung oder Abschwächung der Transienten ist pro Frequenzband einstellbar und kann als Kurve gezeichnet werden. Die Transienten einer Kick- oder Snaredrum können so beispielsweise verstärkt werden, ohne andere Instrumente zu beeinflussen. Eine optische Anzeige zur Kontrolle der Wirkung ist auch hier vorhanden.

 

Clipper Sub-Modul Page

Clipper Kurve und Einstellungen

 

Der SPECTRAL CLIPPER besitzt eine einstellbare Kurve, die grafisch dargestellt wird.

 

Scrolling Display

Das Hauptdisplay in der oberen Mitte zeigt während des Betriebs in Echtzeit das zugeführte Signal und die Bearbeitungen an, die ELEVATE daran vornimmt.

Drei Darstellungen lassen sich umschalten: INPUT/OUTPUT, GAIN REDUCTION und FILTERBANK.

 

Input/Output scrolling display

Gain Reduction scrolling display

Filter scrolling display

 

Hörbeispiele

Nachdem ich die Presets ausprobiert hatte, habe ich dann mal von der Default-Einstellung ausgehend selbst die Regler eingestellt. Trotz der Vielzahl der Parameter war ich überrascht, wie schnell man zu einem brauchbaren Ergebnis kommt. LIMITER GAIN ist dabei der wichtigste Wert, SPEED kann man probieren, passt aber oft schon. CEILING würde ich immer auf 0,1 lassen, um Übersteuerung zu vermeiden. TRANSIENT EMPHASIS muss man nur bei Bedarf über 50% einstellen, SPECTRAL CLIPPER macht den Sound meistens noch schöner, muss aber mit Vorsicht dazu geregelt werden. Bei +7dB LIMITER GAIN wird es schon recht heftig laut; ob es passt liegt aber sehr an der jeweiligen Musik.

Die verwendete Musik wurde mit Logic Pro X produziert. Im Mix gibt es bereits Kompression auf einigen Spuren und einen Kompressor/Limiter auf dem Drum-Bus. Meine Beispiele habe ich beim Bouncen normalisiert, alle sind deshalb technisch gesehen gleich laut.

Als erstes Beispiel der Mix ohne Summen-Bearbeitung:

 

Im zweiten Beispiel am Anfang wieder die eben gehörte Version, danach greift ELEVATE mit dem Preset „Toasted Speakers“ ein:

 

Ein anderes Preset betont bei einem fertigen Mix die Snare, besonders in den Höhen. Bei meinem Song klingt das zwar übertrieben, zeigt aber deutlich den Effekt. Zuerst das Original, dann das Preset Snare Crack:

 

Wie dieses Preset programmiert wurde, sieht man im LIMITER/EQ- und im TRANSIENT-Display:

 

Preset Snare Crack Limiter/EQ

Preset Snare Crack Transient Display

 

Beim wiederholten Hören des Demo-Songs fiel mir auf, dass durch die Bearbeitung der Hi-Hat-Sound stark hervortritt und vielleicht etwas gedämpft werden sollte. Anstattt einen üblichen EQ zu verwenden, habe ich bei einigen Frequenzbändern die Kompression verringert und die Transienten zurückgenommen. Auch hier erst Original und dann Bearbeitung:

 

Die grafischen Darstellungen dazu:

 

Limiter/EQ

Transient

 

Als letztes Audio-Demo ein Vergleich, dieses Mal ohne Original am Anfang. Der erste Teil des Tracks wurde mit IK Multimedia Lurssen Mastering Console bearbeitet. Dabei handelt es sich um die Emulation einer Mastering-Kette von Hardware-Geräten. Im zweiten Abschnitt hört man ELEVATE. Beide Male wurden Presets verwendet. Lurssen: Americana Tight, ELEVATE: Pop Tight Master:

 

Zum besseren Hörvergleich habe ich bisher immer das gleiche Sound-Beispiel verwendet. Jetzt ein ganz anderer Track mit elektronischen Sounds, wieder zuerst ohne, dann mit Eventide Newfangled Elevate. Ich habe hier nicht selbst geschraubt, sondern das Preset EDM-Master verwendet:

 

Fazit

Eventides Partnerfirma Newfangled (Bedeutung: neumodisch) hat es sich zum Ziel gesetzt, Software zu entwickeln, die über die Emulation von geschätzten Hardware-Prozessoren hinausgeht. Dieser Ansatz gefällt mir sehr gut. Mit dem Mastering-Plug-in ELEVATE ist das bereits gelungen. Kein Hardware-Gerät vereint so viele Funktionen und Bedienungsmöglichkeiten. Die erzielte Wirkung könnte auch im Plug-in-Bereich höchstens mit einer Kette von Plug-ins erzielt werden. Eine Filterbank mit 26 speziell auf das menschliche Gehör abgestimmten Frequenzbändern ist neu und vor allem auch die Kombination von Limiter, Transienten-Bearbeitung und Clipper, die alle gleichzeitig auf diese Filterbank zugreifen. Die meisten Parameter können auf ADAPTIVE geschaltet werden und passen sich dann automatisch an das Signal an. Limiter mit programmabhängiger Arbeitsweise gibt es schon lange, aber hier geht mehr. Die Interaktion der Funktionen lässt sich durchaus als künstliche Intelligenz bezeichnen. Außer den Factory-Presets bringt Elevate Presets mit, die von anerkannten Toningenieuren, wie z. B. Andrew Scheps und Matt Lange erstellt wurden. Allein mit den Presets und den Automatik-Funktionen lassen sich sehr gute Ergebnisse erzielen. Wer seinen Sound ganz gezielt bearbeiten möchte, hat die Möglichkeit, alle Einstellungen von Hand vorzunehmen, sogar die Breite der Frequenzbänder und deren Mittenfrequenzen kann individuell eingestellt werden. Manche Anwender werden vielleicht die Möglichkeit der M/S-Bearbeitung vermissen. Das versprochene Ziel, die Musik lauter klingen zu lassen, ohne dass sie flach oder gar verzerrt wirkt, lässt sich mit ELEVATE ohne weiteres erreichen. Ein Fall für den music-knowhow Redationstipp!

 

Spezifikationen:

AXX, VST und AU, Windows 7+, macOS 10.7+

Preise (online ermittelt, Stand 6.10.2017):

ELEVATE Bundle:

$99 bis zum 31.10.2017

Upgrade von EQuivocate $79*

*EQuivocate ist bis zum 31.10.2017 umsonst!

Website des Herstellers: Eventide

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