Test: Soniccouture Vibraphone

Von | 22. Oktober 2013
SONICCOUTURE VIBRAPHONE

SONICCOUTURE VIBRAPHONE

Klingt ein „echtes“, aufwändig gesampeltes Vibrafon besser, als all die Synths, die zumindest seit dem DX7 schon recht ordentliche metallische und glockige Sounds erzeugen können?

Ich liebe Synthesizer, keine Frage, besonders wenn es um Klänge geht, die nur elektronisch zu realisieren sind. Wenn aber Sounds von Naturinstrumenten in der elektronischen Musikproduktion verwendet werden, hat die Sampling Technologie oft die Nase vorn. Während es für Drums oder Filmorchester Libraries gibt, deren Umfang oft im zweistelligen Gigabyte-Bereich liegt, wurden weniger populäre Instrumente wie das Vibrafon bisher eher stiefmütterlich behandelt.

VIBRAPHONE ist ein Kontakt Instrument und benötigt Native Instruments Kontakt 5 oder auch den kostenlosen Kontakt Player. Neuartig ist die Technik, mit der ein realistisches Tremolo erzeugt wird und bisher wohl einmalig ist der Detail-Reichtum dieser Library, die mit 15GB einen enormen Umfang hat. Beim Download und auf der Festplatte sind die Daten komprimiert und nehmen 8GB ein. Der Download erfolgt von der Website des Herstellers Soniccouture in vier rar-Files. Diese lassen sich am Mac mit Stuffit-Expander oder UnRAR und am PC mit WinRAR entpacken. Die Seriennummer bekommt man per E-Mail und die Freischaltung erfolgt über das Service Center von Native Instruments.

Soniccouture ist vor allem durch exotische Sampling-Instrumente wie Gamelan und ungewöhnliche Produkte wie das „Broken Wurli“ bekannt geworden. Hier gibt es Sounds, die nicht jeder hat, weil sie nicht zum Lieferumfang einer aktuellen DAW dazu gehören.

Vibrationen

Der metallische und zugleich schwebende Klang eines Vibrafons hat seinen besonderen Reiz. Das Instrument ist ein Metallofon, eine Weiterentwicklung der Marimba und im Gegensatz zu dieser nicht mit Holzklangstäben sondern mit Klangstäben aus Aluminium ausgerüstet. Für den Tremoloeffekt sorgt eine elektrisch angetriebene Modulationseinrichtung. Als Tremolo bezeichnet man eine periodische Änderung der Lautstärke. Unter den klingenden Metallplatten hängen auf die jeweilige Tonfrequenz abgestimmte Resonanzröhren zur Verstärkung des Klangs. In den Röhren befinden sich Scheiben, die durch einen Elektromotor gedreht werden. Dadurch werden die Röhren geöffnet und geschlossen, was dem Vibrafon das charakteristische Tremolo verleiht, dessen Tempo sich nach der Drehgeschwindigkeit der Scheiben richtet. Außerdem ist ein Dämpfer vorhanden, um ähnlich wie beim Klavier die Klangdauer zu bestimmen.

Modulations-Scheiben (Fans) horizontal, Resonanzröhren geschlossen

Modulations-Scheiben (Fans) horizontal, Resonanzröhren geschlossen

Modulations-Scheiben vertikal, Resonanzröhren offen

Modulations-Scheiben vertikal, Resonanzröhren offen

Beim Sampling ergeben sich folgende Probleme: Sampelt man jeden Ton einzeln, ist das Tremolo der einzelnen Töne nicht miteinander synchron und außerdem lässt sich die Geschwindigkeit nachträglich nicht verändern. Deshalb wird das Vibrafon meistens ohne Tremolo gesampelt und die Modulation nachträglich elektronisch realisiert. Der typische „Wobble-Effekt“, der durch das mechanische Öffnen und Schließen der Röhren entsteht, kann so nur annähernd erzeugt werden.

Nicht Einstein – aber nahe dran

Die Formel, die Dan Powell von Soniccouture einfiel (man könnte vermuten, als er auf dem Klo eine Uhr aufhängen wollte – aber das ist eine andere Geschichte) lautet so:

Dan Powells Tremolo-Formel

Die Formel besagt, dass ein Sample eines Tons, bei dem die Modulations-Scheiben vertikal stehen (v) addiert zu einem Sample mit horizontalen Scheiben (h) einen Tremoloklang erzeugt, wenn beide Samples per Crossfading, gesteuert von einem Low Frequency Oscillator (lfo), ineinander geblendet werden. Ob das wirklich so ist, konnte nur durch Ausprobieren geklärt werden. Das Real World Studio von Peter Gabriel wurde für zwei Tage angemietet und in zwei jeweils 12-stündigen Sessions wurden 3864 Samples aufgenommen. Die Nachbearbeitung dauerte Monate und erst danach konnte man feststellen, ob Powell’s Hypothese zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Und wie jetzt jeder hören kann: „It works!“

Das Yamaha Instrument aufgebaut im Studio

Das Yamaha Instrument aufgebaut im Studio

Kontaktaufnahme

Nachdem VIBRAPHONE den Kontakt-Libraries hinzugefügt wurde, erscheint das Instrument als Modul in der Browser-Spalte. Unter „Instruments“ sind neben der Grundeinstellung (Init.nki) zahlreiche Presets zu finden, im Ordner „Sound Design“ auch recht spacige Klänge, die mit den Effekten von NI Kontakt erzeugt werden. Zahlreiche dieser Effekte wurden in die Benutzeroberfläche von VIBRAPHONE integriert und ermöglichen eigene Soundkreationen.

Das GUI besitzt normalerweise drei Pages, manchmal vier, wenn der „Phraser“ eingesetzt wird, mit dem sich Tonfolgen programmieren lassen, die per zugewiesener Taste oder automatisch abgerufen werden können.

Vibraphone Instrument Page

Vibraphone Instrument Page

Instrument Page

Auf dieser Page findet man mit ENVELOPE und FILTER zahlreiche Regler, um den Klang zu bearbeiten. STEREO bietet neben der Einstellung der Stereo-Breite mit FLIP die Möglichkeit, zwischen der Hörposition eines Zuhörers und der des Spielers umzuschalten. TREMOLO regelt das Tempo des Effekts, außerdem lassen sich zwei Varianten wählen. Die Abbildung zeigt die Variante FANS LAYERING; hier kann man die beiden Layers (vertikale und horizontale Stellung der Scheiben) gegeneinander verstimmen. In der Position NATURAL (wählbar über ein Menü unter dem kleinen Dreieck) geht das nicht. Sehr gut gefällt mir das kleine Symbol unter SUSTAIN, wo mit PEDAL UP/DOWN die aktuelle Position des Sustainpedals dargestellt wird. Wenn man die Default-Einstellung benutzt, klingt das Instrument ohne Pedal gedämpft, also sehr kurz und perkussiv. In der Stellung pedal down klingen die Töne sehr lang aus und der Tremolo-Effekt ist deutlich zu hören. Eine leuchtende LED zeigt an, welche Bereiche aktiv sind, im Bild oben FILTER und TREMOLO.

Vibraphone Performance Page

Vibraphone Performance Page

Performance Page

Neben der einstellbaren Velocity-Kurve findet man hier mit HUMANISE die Möglichkeit, starr programmierte Sequenzen aufzulockern. OPTIONS bietet die Möglichkeit, Round Robin Samples zuzuschalten, was bei normaler Spielweise per Hand kaum nötig ist, weil 23 Velocity-Layers es fast unmöglich machen, mehrmals hintereinander identische Samples abzurufen. Außerdem kann der Tastaturumfang auf den Tonumfang des Originalinstruments beschränkt werden.

Vibraphone Effects Page

Vibraphone Effects Page

Effects Page

Die Effekte sind zum großen Teil identisch mit den Effekten der NI Drummer Serie. EQ, Delay, Hall, Sättigung, Transientenbearbeitung und Limiter stehen zur Verfügung. Ich habe gemerkt, dass man hier sehr vorsichtig sein muss, etwas Sättigung kann schon zu unangenehmen Verzerrungen führen; das ist aber sehr von der Spielweise abhängig.

Vibraphone Phraser Page

Vibraphone Phraser Page

Phraser Page

Der Phraser erlaubt es, eigene Phrasen zu erstellen und zu speichern. Diese zusätzliche Page erscheint bei einigen der Werks-Presets.

Hörproben

Ich habe bei allen Hörbeispielen auf externe Effekte und Summenkompression verzichtet. Es wurden nur Effekte des Kontakt-Instruments SONICCOUTURE VIBRAPHONE eingesetzt. Ich habe das Instrument als Plug-in in Logic X verwendet.

Das Initial Preset ohne Bearbeitung, mit Pedal:

Nacheinander das vertikale und das horizontale Layer. Kein Crossfade, daher kein Tremolo:

Beim nächsten Beispiel ist zuerst eine Phasendrehung, dann ein leichter Detune-Effekt im Spiel:

Zwei Beispiele der „Sound Design“ Presets:

Dieses Phraser-Preset orientiert sich an der Melodie von Mike Oldfield, die im Film „Der Exorzist“ verwendet wurde:

Meine Demo-Melodie mit zwei weiteren Preset-Klängen gespielt:

Eine Demo-Sequenz von mir, bewusst perkussiv, also SUSTAIN PEDAL OFF. DRIVE, DELAY, HALL, und COMPRESSOR von der „Effects“ Page wurden eingesetzt:

Noch einmal mein erstes Soundbeispiel, aber nicht „trocken“ sondern mit Effekten der „Effects“ Page:

Fazit

Mit SONICCOUTURE VIBRAPHONE erhält man eine sehr gute virtuelle Umsetzung des Vibrafons mit realistisch klingendem Tremolo. Der Unterschied zur elektronischen Simulation ist vielleicht nicht gewaltig, bringt aber genau die Authentizität, die sich Perfektionisten wünschen. Den Umgang mit dem Sustain-Pedal muss man üben, wenn man während des Spiels umschalten will. Die Möglichkeiten der Verfremdung durch Hüllkurven, Phasendrehung, Detune u.s.w. machen VIBRAPHONE auch für Musiker interessant, die mit dem Sound kreativ umgehen wollen. In diesem Zusammenhang finde ich es etwas schade, dass weder die Tremolo-Geschwindigkeit noch die Delay-Time zum Host-Tempo synchronisierbar sind. Wegen des hochwertigen authentischen Sounds und den kreativen Möglichkeiten ist für mich – verglichen mit anderen virtuellen Vibrafon-Instrumenten – SONICCOUTURE VIBRAPHONE „simply the best“. Deshalb vergebe ich hier der Redaktionstipp!

Technische Daten:

Instrument: Yamaha YV-3910M ‘Professional Gold’
3864 Samples, 24 bit 96 khz Stereo Sampling
, 15 GB Library (8 GB mit Kontakt NCW Kompression)
, 23 Velocity Level mit intelligentem Round Robin Mapping
, Sustain und Non-Sustain Artikulationen, realistische 
Wiedergabe sich drehender Tremolo-Scheiben durch Modelling.

Systemvoraussetzungen:
Kostenloser KONTAKT 5 PLAYER oder KONTAKT 5

Windows
Windows 7 oder Windows 8 (aktuelles Service Pack, 32/64 Bit), Intel Core Duo oder AMD Athlon 64 X2, 2 GB RAM (4 GB empfohlen)

Mac
Mac OS X 10.7 oder 10.8 (letztes Update), Intel Core 2 Duo, 2 GB RAM (4 GB empfohlen)

Preis: € 99,-
(Bis 02.11.2013 Preisermäßigung von € 15,- mit Code von der Hersteller-Website.)

Website des Herstellers: SONICCOUTURE

Meine aktuellen Testberichte und mehr zum Thema Musik immer hier…

Ein vollständiges Inhaltsverzeichnis meiner Artikel auf facebook hier…

2 Gedanken zu „Test: Soniccouture Vibraphone

  1. Pingback: Test: Soniccouture THE HAMMERSMITH › Juergen

  2. Pingback: Praxis-Test: Native Instruments KOMPLETE KONTROL S88 › music-knowhow

Kommentare sind geschlossen.