Antonio Stradivaris Violine „Vesuvio“, gebaut 1727, ist jetzt bei Native Instruments als Plug-in für die DAW erschienen. Die Hamburger Firma e-instruments hat es möglich gemacht und das gut bewachte Instrument aus dem Stradivari-Museum in Cremona, Italien aufwändig gesampelt.
Die Vorgeschichte
Etwa ein Jahr vor dem Erscheinen des Plug-ins begannen in Italien die Aufnahmen. music-knowhow hat hier ausführlich darüber berichtet. Die „Vesuvio“ befindet sich normalerweise unter Bewachung in einer Vitrine im Stradivari-Museum in Cremona, dem Geburtsort von Antonio Stradivari. Nur wenige Musiker dürfen darauf spielen. Zum Museum gehört das Auditorium Giovanni Arvedi, ein Konzertsaal, der vom Akustiker Yasuhisa Toyota entworfen wurde. Dort fanden die Aufnahmen für die Sampling-Library statt. e-instruments aus Hamburg haben für die Aufnahmen 32 Mikrofone im Saal verteilt. Um für die notwendige Stille zu sorgen, wurde eine Vereinbarung mit der Stadtverwaltung von Cremona getroffen. Einige Straßen und Parkplätze wurden gesperrt und die Bewohner um Ruhe gebeten.
Stradivari Violin in Stichworten
- 20 verschiedene Artikulationen
- Jeweils bis zu 3 Legato-Übergänge
- Natürliche Vibrato-Technik eines professionellen Violinisten
- Stereo Phase-Aligned Dynamik Crossfades um Phasing bei Layer-Übergängen zu vermeiden.
- 3 mischbare Mikrofonpositionen
Besonderheiten
Die Sampling-Technik
Anders als bei vielen anderen Sampling-Libraries wurde jeder Halbton der Stradivari Violin einzeln gesampelt, und das für alle Stile und Artikulationen. Das Layer-Überblenden bei dynamischem Spiel könnte zu Phasing-Effekten führen. Um das zu vermeiden, wurde eine spezielle „Stereo Phase-Aligned Dynamik Crossfades“-Technik angewandt. Diese sorgt besonders bei langen Artikulationen für sauberen Klang, denn Lautstärke-Veränderungen während des Spiels langer Töne gehören zum ausdrucksvollen Spiel einer Violine. Man kann deshalb die Lautstärke nicht wie bei einem Piano nur mit dem Anschlag steuern. Bei der Stradivari Violin wird deshalb die Lautstärke während der Ton klingt mit dem Modulationsrad des Keyboards gesteuert.
Echtes Vibrato
Ein Vibrato, das wie bei einem Synthesizer mit einem LFO elektronisch erzeugt wird, würde bei der Violine nicht authentisch wirken. Stattdessen handelt es sich um echte Performances, die auf den Sampling-Inhalt angewendet werden. Trotzdem lässt sich die Intensität und das Tempo des Vibratos steuern.
Großer Umfang an Artikulationen
Zusätzlich zu den Spielweisen Long, Short, Expressive, Dynamic, Special und Adaptive stehen drei verschiedene Legato-Versionen zur Verfügung. Zusammen mit den Spiel-Techniken Spiccato, Pizzicato u.a. sind es 20 Artikulationen. Die Artikulation „Virtuoso“ kombiniert automatisch verschiedene Spielweisen und wertet dabei MIDI-Informationen wie Anschlagstärke und Pitchbend-Daten aus.
Intelligente Griffbrett-Position
Die Position der Hand auf dem Griffbrett lässt sich einstellen, High String, Smart und Low String stehen zur Auswahl. Die Position „Smart“ wählt jeweils automatisch die dem zuvor gespielten Ton nächst liegenden Stelle.
Multi-Mikrofonierung
Für die Aufnahmen im Konzertsaal wurden 32 Mikrofone gleichzeitig eingesetzt. Nahmikrofone, die mittleren und die entfernt aufgestellten Mikros lassen sich in der Lautstärke mischen. Zusätzlich gibt es den Regler „Room Noise“, der das Nebengeräusch der leeren Halle für einen absolut authentischen Höreindruck hinzufügen kann. Neben der Multi-Mikrofon Version kann auch eine Stereo-Version ohne Mixer geladen werden, die weniger CPU-Last erzeugt.
Die Bedienung
Das Plug-in
Um die Stradivari Violin als Plug-in zu verwenden, ist entweder Native Instruments Kontakt, Kontakt Player oder Komplete Kontrol nötig.
Der Mixer
Zwei Plug-in Versionen stehen zur Auswahlt, eine mit vorgemischten Mikros und eine mit Mischpult. In der oberen linken Ecke des Startfenster ist bei der Version „Stradivari Multi Mic“ ein kleines Symbol zu sehen, das nach einem Klick darauf zum Mixer-Fenster führt. Die Bezeichnungen „Close“, „Mid“ und „Far“ sind gleichzeitig Ein/Aus-Schaltflächen, mit denen sich System-Last sparen lässt, weil die ausgeschalteten Samples damit aus dem Speicher entfernt werden. Das ist sehr sinnvoll, besonders, wenn man Musik mit dem Laptop produziert. Zu den drei Lautstärke-Fadern gehört auch jeweils ein Panorama-Regler.
Performance
Unterhalb der Abbildung der Stradivari Vesuvio befinden sich die Performance- und Artikulations-Einstellungen. Ein Icon aus drei Punkten führt links über „Dynamics“ zu den Performance-Kontrollen. Mit dem Slider „Expression“ wird die Gesamtlautstärke der Performance bestimmt. Für die Dynamik des Spiels ist bei kurzen Artikulationen die Stärke der Tastenanschläge (Velocity) sinnvoll, bei langen Tönen ein MIDI-Controller, voreingestellt ist das Modulationsrad. Vibrato-Rate, -Intensität und -Stil sind ebenfalls über MIDI steuerbar. Weil es sich um die Daten echter Performances handelt, sind die Auswirkungen der Regler subtiler, musikalischer, als es bei einer synthetischen LFO-Steuerung der Fall wäre.
NKS
An den NKS-Keyboards von Native Instruments werden bei Verwendung von Komplete Kontrol die wichtigsten Performance-Parameter automatisch Reglern zugeordnet und abgekürzt angezeigt: EXP DYNAMIC, STYLE VIBRATO, INTENS, RATE, PRFRNC POSITION (Griffbrett-Position). Außerdem lassen sich die Pegel der drei Mikrofonpositionen CLOSE, MID, FAR regeln. Die farbigen LEDS über der Tastatur zeigen Keyswitches und den Spielbereich genauso an, wie das Mini-Keyboard beim Verwenden von NI Kontakt oder Kontakt Player.
Im Instrumenten-Fenster von Native Instruments Komplete Kontrol gibt es im Kopfbereich eine Anzeige der Parameter-Werte, welche die Eingaben an den Reglern des Keyboards dynamisch widerspiegelt.
Artkulationen
Die Anzahl von 20 Artikulationen zeigt schon, wieviele Nuancen der Tongestaltung mit einer Violine möglich sind. Der Violinist braucht dazu nur das Instrument und den Bogen. Acht Tasten auf dem Keyboard stehen als Keyswitches zur Verfügung. Die Tastenzuordnung ist editierbar. Im unteren Bereich des Plug-in-Fensters sind entsprechend acht Schaltflächen (Slots), die alternativ zur Keyswitch-Bedienung angeklickt werden können. In der Grundeinstellung sind die ersten vier belegt, die zweite Reihe ist mit „None“ bezeichnet. Alle acht Slots lassen sich aber frei konfigurieren. Dazu klickt man auf die rechte obere Ecke, wo ein ausgewählter Slot ein Icon aus drei kleinen Punkten anzeigt. Es öffnet sich das Menü mit allen 20 Artikulationen und weiteren Einstellungen z.B. dem Legato-Modus.
Die Beschränkung auf acht Artikulationen, die sich während des Spielens umschalten lassen, finde ich sehr vernünftig. Acht sind schon viel, bei zwanzig würde wohl jeder den Überblick verlieren.
Bow Change und Open Strings
Wenn Noten mit langem Ausklang gehalten werden, hört man nach einiger Zeit automatisch den Richtungs-Wechsel des Bogenstrichs. Ein Richtungs-Wechsel (Bow Change) lässt sich aber auch jederzeit per Keyswitch (Violette Taste) auslösen. Die grün markierte Taste bewirkt die Verwendung offener Saiten, wenn es möglich ist.
Virtuoso
Virtuoso ist eine besondere Einstellung, mit der ein Spiel mit unterschiedlichen Artikulationen ohne die Bedienung zusätzlicher Tasten möglich ist. Noten mit MIDI-Anschlagswerten von 104 und darunter werden mit der Artikulation „Sustain Bowed“ wiedergegeben, mit 105 und darüber im kraftvolleren Stil „Marcato“. Beim Legato-Spiel wird mit den leichten Anschlägen der Tonübergang „Fingered and Bowed“ ausgelöst, mit starken Anschlägen die Portamento-Funktion. Diese Einstellungen lassen sich auch umkehren und die Übergangslautstärke kann ebenfalls verändert werden. Zu Virtuoso gehört auch eine besondere Funktion des Pitch-Wheels: nach oben kurze Noten im Stil „Spiccatissiomo“ nach unten „Staccato“. Diese Bedienung lässt sich schnell erlernen und reicht oft schon für ein tolles Ergebnis aus, auf jeden Fall aber für ein Demo.
Mehr…
Detaché, Sautillé, Pizzicato, Tremolo, Trill, Ricochet, Crescendo, Diminuendo, Sui Pont, Sui Tasto, Harmonics, Col Legno, dazu die verschiedenen Legato-Optionen und Griffbrett-Positionen… Wer mit all diesen Begriffen nicht vertraut ist, findet die Erklärung im übersichtlichen Manual. Richtig eingesetzt, lassen sich mit diesen Funktionen tolle Performances erzielen, wobei die DAW-Automation hilfreich ist.
Wie schon erwähnt, kommt e-instruments Stradivari Violin in zwei Versionen: mit mischbarer Multi-Mikrofonierung und mit einem fest eingestellten Stereo-Mix. In beiden Versionen stehen verschiedene Voreinstellungen als „Snapshots“ zur Verfügung, die beispielsweise die Platzierung des Instruments im Stereo-Panorama entsprechend der Sitz-Position des Violinisten in einem Orchester erlauben.
Audio-Beispiele
Im ersten Beispiel habe ich eine einfache Melodie mit der Einstellung „Virtuoso“ gespielt. Wie auch bei den folgenden Aufnahmen, wurde weder Kompression noch zusätzlicher Hall verwendet. Räumliche Informationen werden direkt im Plug-in erzeugt, durch das Zumischen der Mikro-Positionen „Mid“ und „Far“.
Um der Aufnahme mehr Dynamik zu verleihen, habe ich bei der nächsten Version mit dem Modulations-Rad die Lautstärke gesteuert und mit dem Pitchend-Rad die Artikulation.
Im nächsten Beispiel gibt es zwei Stimmen. Die Melodie-Stimme, wieder mit „Virtuoso“ eingespielt, wechselt zwischen Spiccato und Spiccatissimo, gesteuert mit dem Pitchbend-Rad. Die Begleitstimme, mit der Artikulation „Sustained“ gespielt, wechselt beim letzten Ton zum „Tremolo“, verwendet wurden die Keyswitch-Tasten.
Hier wurde noch eine Pizzicato-Begleitung ergänzt. Bis auf die ersten Töne erklingt das Pizzicato hier 2-stimmig (Oktaven). Zwei Stimmen gleichzeitig sind möglich, auch wenn das in der Bedienungsanleitung nicht erwähnt wird.
Auch für Rock- und Popmusik eignet sich das Instrument mit seinem schönen und durchsetzungsfähigen Sound! Hier im Intro, Mittelteil und am Schluss des Songs:
Fazit
Besonders bei langen Noten hört man das Besondere im Sound der Stradivari-Violine. Durch die erstklassige Aufnahmetechnik wurde in den Samples jede Nuance des Sounds eingefangen. Der technische Aufwand und das ambitionierte Mitwirken der Musiker haben eine ganz besondere Sampling-Library entstehen lassen. Aber wie lässt sich dieses Sampling-Instrument ausdrucksvoll spielen? Dem „echten“ Violinisten genügen seine beiden Hände, um eine Violine mit dem Geigenbogen zu “triggern” und zu kontrollieren. Für den Keyboard-Spieler stehen 10 Keyswitches zur Verfügung (einschließlich „Bow Change“ und „Open String“). Hinzu kommen Pitchbend und Modulations-Rad als Controller, sowie der Tastaturanschlag bei kurzen Noten. Alle acht Artikulations-Slots sind frei konfigurierbar, so dass aus 20 Artikulationen gewählt werden kann. Besonders hervorzuheben ist die intelligente Artikulations-Einstellung „Virtuoso“, die auf Anhieb ein ausdrucksvolles Spiel ermöglicht.
Mit Stradivari Violin ist e-instruments in Zusammenarbeit mit Native Instruments ein großer Wurf gelungen!
Systemvoraussetzungen
PC: Windows 7 64-bit oder höher, i5 oder gleichwertige CPU 2 GB RAM.
macOS 10.12 oder höher, i5, 4 GB RAM.
Für umfangreiche KONTAKT-Instrumente werden mindestens 6 GB RAM empfohlen.
Kostenloser NATIVE INSTRUMENTS KONTAKT PLAYER ab Version 6.2.2 oder KONTAKT.
Download
23,5 GB, unkomprimiert 39 GB
Preis: €193,98
Preisangabe ohne Gewähr. Der Preis wurde am 26.07.2020 online ermittelt
Hersteller:
e-instruments
Native Instruments
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